Die Kunst der Portrait-Karikatur von Pit Hammann: Ikonen der Popkultur als Kugelschreiber-Zeichnung.

Warum Kugelschreiber? – Why Ballpoint Pen?

Ich bin froh, dass Sie das fragen. Der Kuli ist so allgegenwärtig und alltäglich, so banal und gänzlich unkünstlerisch: Weiter kann man kaum von einer altmeisterlichen Technik entfernt sein. Selbst Rembrandt hätte mit dem Kugelschreiber nur seine Einkaufsliste geschrieben. Oder mal eine E-Mail-Adresse notiert.
Mitte der Neunziger stellte ich fest, dass man mit dem billigen BIC verblüffend detaillierte Zeichnungen herstellen kann. Dass ich diese Technik zunächst nicht weiterverfolgte, lag an dem riesigen Aufwand an Zeit und Konzentration. Denn der Kugelschreiber vergibt nichts …
Für Karikaturen wechselte ich zur digitalen Illustration, aus rein pragmatischen Gründen. Man zeichnet auf einem berührungsempfindlichen Bildschirm direkt in den Rechner.
Einerseits eröffnet man sich dadurch unendliche neue Möglichkeiten, hyperrealistisch zu malen; schnell und einfach zu reproduzieren, zu lizenzieren und zu liefern. Andererseits gibt es kein Original mehr.
Und so kam ich wieder zum Kugelschreiber, denn:
Ich will, dass man dem Werk ansieht, dass es Zeit, Handwerk und Anstrengung in Anspruch genommen hat; und Leidenschaft, Liebe zum Detail, Bezug zum Motiv.
Ich will, dass man dem Werk ansieht, dass es nicht von einem User mit einer Gratis-App am Smartphone erschlichen wurde; dem es egal ist, welche Art der Zeitverschwendung er in Anspruch nimmt: Cat-Content oder eine App, die ihm Kreativität vorspielt.
Darum Kugelschreiber.
I’m glad you’re asking. The ballpoint pen is so ubiquitous and everyday, so banal and unartistic: It can hardly be further from an old master technique. Even Rembrandt would have only written his shopping list with a ballpoint pen. Or jotted down an email address.
In the mid-nineties, I discovered that surprisingly detailed drawings could be produced with a cheap BIC pen. The reason I didn’t pursue this technique further was the huge effort in time and concentration. Because the ballpoint pen does not forgive anything…
For caricatures, I switched to digital illustration for purely pragmatic reasons. You draw directly on a touch-sensitive screen in the computer.
On the one hand, this opens up infinite new possibilities for painting hyperrealistically; to reproduce, license and deliver quickly and easily. On the other hand, there is no original anymore.
And so I came back to the ballpoint pen, because:
I want the work to show that it has taken time, craftsmanship and effort; and passion, attention to detail, and connection to the subject.
I want the work to show that it was not obtained by a user with a free app on a smartphone; who doesn’t care what kind of time-waste he’s taking on: Cat-content or an app that pretends to be creative.
That’s why the ballpoint pen.

Warum karikiert? – Why caricatured?

Die Darstellung eines menschlichen Gesichts ist zunächst mal ein Portrait, gemalt oder fotografiert. Wenn der Auftraggeber auch der Portraitierte ist, dürfte ein repräsentativer Zweck dahinterstecken. Will sagen, der Portraitierte möchte auf die Betrachter des Bildes einen möglichst guten Eindruck machen.
 Der Hersteller des Portraits trachtet danach, diesen Wunsch zu erfüllen, denn zufriedene Kunden empfehlen die nächsten Kunden. Also setzt er seinen Auftraggeber beispielsweise in vorteilhaft diffuses Licht, das die Falten gnädig weichzeichnet; oder er wird so im Raum platziert, dass 40 Kilogramm des Übergewichts wie zufällig hinter einem Kulissenteil verschwinden; und für den letzten Schliff gibt es etwas Photoshop. So weit, so nachvollziehbar.

Ein solches Portrait ist also nicht nur keine Karikatur, sondern mehr oder minder geschönt, auch, indem unvorteilhafte Eigenschaften vermindert, vermieden, entfernt werden.

So eine Art Gegenteil des gestellten Portraits ist der Schnappschuss, der allerdings ebenso unvollständig ist: Da es sich um eine spontane Momentaufnahme handelt, ist die Summe, das Zusammenspiel aller Umstände im Moment der Aufnahme höchstwahrscheinlich einzigartig, und trotzdem erlaubt diese Abbildung womöglich mehr als eine Interpretation; das ist zunächst mal weder gut noch schlecht, sondern lediglich nicht sehr objektiv.
Anhand dieser beiden ausgeprägten Bespiele wird deutlich, dass unterschiedliche Blickwinkel, unterschiedliche Formen der Darstellung auch unterschiedliche Wahrnehmungen herstellen. 
Grundsätzlich kann keine bildnerische Darstellung mehr als nur eine ungefähre Annäherung an das Wesen der dargestellten Person sein, denn selbstredend bedarf es dafür noch einiger anderer kognitiven Mittel. Ansonsten sehen wir nur, was wir sehen wollen; und wir wollen es sehen, weil wir es erwarten.

Diese Schlussfolgerung mag auf den ersten Blick offensichtlich wirken; trotzdem hat das Foto für viele von uns den Nimbus von unbestechlicher Objektivität, weil wir erwarten, dass es nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zeigen kann. Aber eben nicht die ganze Wahrheit.

Ich strebe mit der Karikatur nach einer möglichst „objektiven Wahrhaftigkeit“ der Darstellung. Paradoxerweise ist mein wichtigstes Werkzeug dazu die Übertreibung, die ihrem Wesen nach aber subjektiv ist. Weil sämtliche Größen eines Gesichts objektiv in Millimetern messbar sind, liegt jede Abweichung von diesen Maßen, jede Übertreibung im subjektiven Ermessen des Künstlers.

Ich definiere also Form und Ausdruck subjektiv und erzeuge dadurch eine objektive Ähnlichkeit für den Betrachter. 
Genau wie ein Portrait mit ausdrücklich ernsthaftem Anspruch ist die Karikatur eine besonders ausgeprägte Darstellung, die eine bestimmte Wahrnehmung herstellt. Nur wird dem Betrachter die spezielle Ausprägung der Karikatur, nämlich die Übertreibung, unmissverständlich vor Augen geführt, also kann er sie bewusst unter diesem Vorbehalt sehen. 
Vom Foto erwartet der Betrachter dagegen eine Objektivität, die kaum erfüllt werden kann.
Da ich Personen des öffentlichen Lebens portraitiere, haben alle Betrachter eine ähnlich gute Ausgangssituation, um das Ergebnis beurteilen zu können. Das wäre ihnen bei einem unbekannten Gesicht nicht möglich. Im Idealfall kann der Betrachter die Karikatur sogar leichter einer Person X zuordnen, als den leibhaftigen Anblick der Person X selbst. Das ist weniger merkwürdig, als es sich liest: Wenn wir Menschen in einem ungewohnten Kontext begegnen, ist es durchaus nicht ungewöhnlich, dass wir sie erst auf den zweiten Blick erkennen.

The representation of a human face is initially a portrait, painted or photographed. If the client is also the person being portrayed, there is likely a representative purpose behind it. That is to say, the person being portrayed wants to make the best possible impression on the viewers of the picture. The maker of the portrait aims to fulfill this wish, because satisfied customers recommend the next customers. So he puts his client, for example, in a favorable diffused light that gently softens the wrinkles; or he places him in a room so that 40 kilograms of overweight disappear behind a stage prop; and for the final touch, there’s some Photoshop. So far, so understandable.
Such a portrait is therefore not only not a caricature, but more or less embellished, even by reducing, avoiding, or removing unflattering features.
A snapshot is a kind of opposite of the posed portrait, but it is also incomplete: Since it is a spontaneous snapshot, the sum, the interaction of all circumstances at the moment of the shot is highly probable unique, and yet this image probably allows more than one interpretation; that is initially neither good nor bad, but simply not more objective than the posed portrait.
From these two distinct examples, it becomes clear that different perspectives, different forms of representation also produce different perceptions.
Basically, no artistic representation can be more than just a rough approximation of the essence of the person being represented, because of course it requires some other cognitive means. Otherwise, we only see what we want to see; and we want to see it because we expect it.
This conclusion may seem obvious at first glance; yet the photo for many of us has the aura of incorruptible objectivity, because we expect it to show only the truth and nothing but the truth. But not the whole truth.

I strive for the caricature to achieve the most „objective truthfulness“ of representation. Paradoxically, my most important tool for this is exaggeration, which is subjective by its nature. Because all the sizes of a face are objectively measurable in millimeters, any deviation from these measurements, any exaggeration is in the subjective discretion of the artist.
I therefore define shape and expression subjectively and thereby create an objective similarity to the person being depicted, while at the same time emphasizing certain aspects of the person.
Just like a portrait with an explicitly serious claim, the caricature is a particularly pronounced representation that creates a certain perception. Only the viewer is presented with the special expression of the caricature, namely exaggeration, unmistakably, so he can consciously see it with this reservation in mind. On the other hand, the viewer expects objectivity from the photo, which can hardly be achieved.
Since I portray people from public life, all viewers have a similarly good starting point to evaluate the result. This would not be possible for an unknown face. Ideally, the viewer can even more easily associate the caricature with a person X than the actual sight of person X himself. This is less strange than it reads: When we encounter people in an unusual context, it is not uncommon for us to recognize them only on the second glance.

Kugelschreiber-Zeichnung von Joaquin Phoenix als Joker/ballpen drawing of Joaquin Phoenix as Joker

Warum „Ikonen …“ – Why „Icons…“

Weil … ich klamüsere Ihnen das mal ein bisschen auseinander.

Naheliegender Grund: Die dargestellte Person hat mich in irgendeiner Weise berührt. Oder beeindruckt. Oder fasziniert. So sehr, dass ich willens und bereit bin, mich über Stunden und Tage mit ihr zu beschäftigen, indem ich sie zeichne.

Analytischer Grund: Man neigt dazu, eine Berühmtheit zur Projektionsfläche persönlicher Ansichten zu reduzieren; als Ideal, als Symbol oder gar als Sündenbock. Und selbstverständlich wird das dem wahren Wesen der Zielperson niemals gerecht.
Natürlich lerne ich niemanden kennen, indem ich ihn zeichne. Aber seien Sie sich sicher, mit jeder Stunde, in der man ein Gesicht erforscht, entdeckt man neue Nuancen, die den ersten oberflächlichen Eindruck mehr oder weniger stark verändern. Und, Fluch oder Segen, je länger ich ein Gesicht betrachte, desto mehr Mitgefühl bin ich bereit, dafür zu entwickeln.

Praktischer Grund: Um ein Gesicht zu portraitieren, sind Ansichten aus verschiedenen Winkeln hilfreich. Gerne auch verschiedene Gesichtsausdrücke. Und wenn es sich um eine „Ikone“ handelt, finden sich mit großer Sicherheit brauchbare Referenzbilder im Internet. Schwieriger wird es bei gänzlich Unbekannten, wie Cordula Pepschmier, Gaspode P. Flanger oder Kermit Bibberson.

Benutzerfreundlicher Grund: Bei einer Berühmtheit haben alle Betrachter eine ähnlich gute Ausgangssituation, um das Ergebnis beurteilen zu können. Das wäre ihnen bei einem unbekannten Gesicht nicht möglich.

Because… I’ll break it down for you a bit.

Obvious reason: The person depicted has touched me in some way. Or impressed. Or fascinated. So much so that I am willing and able to spend hours and days with her by drawing her.

Analytical reason: People tend to reduce a celebrity to a projection surface for personal views; as an ideal, as a symbol or even as a scapegoat. And, of course, that never does justice to the true essence of the target person. Of course, I don’t get to know anyone by drawing them. But be sure, with every hour that I explore a face, I discover new nuances that change the first superficial impression more or less strongly. And, curse or blessing, the longer I look at a face, the more empathy I am willing to develop for it.

Practical reason: To portrait a face, views from different angles are helpful. Also different facial expressions. And if it’s an „icon“, you will find usable reference images on the internet with great certainty. It’s more difficult for completely unknown people, like Cordula Pepschmier, Gaspode P. Flanger or Kermit Bibberson.

User-friendly reason: With a celebrity, all viewers have a similarly good starting point to evaluate the result. That would not be possible for an unknown face.

Kugelschreiber-Zeichnung von Christopher Lee als Saruman/ballpen drawing of Christopher Lee as Saruman

Warum Portrait? – Why portrait?

Weil ich es für ein ausgesprochen anspruchsvolles Genre halte.
Zum einen vom rein technischen Standpunkt: Die Aufgabe des Portraits ist die Darstellung einer Person. Das ist schonmal gar nicht so ohne, denn dafür ist die hinreichende Ähnlichkeit des Werks mit dieser Person erforderlich. Inwiefern das erfüllt ist, lässt sich übrigens ohne irgendwelchen künstlerischen Sachverstand beurteilen. Man erkennt die Person einfach besser oder schlechter.
Zum anderen aus philosophischer Sicht: Für Menschen dreht sich letztlich alles um die Auseinandersetzung mit anderen Menschen. Je besser man das Wesen und die Motivation des Gegenübers versteht, desto erfolgreicher interagiert man.
Die Steigerung dessen: Je besser man das Wesen und die Motivation des Gegenübers versteht, desto besser versteht man sich selbst.
Diese beiden Komponenten, die Erkennbarkeit und etwas vom Wesen des Modells, versuche ich nach Kräften zu liefern.
Because I consider it to be a very demanding genre.
On the one hand from a purely technical point of view: The task of the portrait is to depict a person. That is not without its difficulties, as a sufficient similarity of the work with this person is required. To what extent this is fulfilled can be judged, by the way, without any artistic expertise. One recognizes the person better or worse.
On the other hand, from a philosophical point of view: For people, ultimately everything revolves around dealing with other people. The better you understand the nature and motivation of your counterpart, the more successful you will interact. The ultimate goal: The better you understand the nature and motivation of your counterpart, the better you understand yourself.
I try to provide these two components, recognition and something of the essence of the model, to the best of my ability.